Die Zahl der diabetischen Fussinfektionen steigt weltweit an – mit teils schwerwiegenden Folgen in der Gehfähigkeit und Mobilität für die betroffenen Patientinnen und Patienten. Die zunehmende Häufigkeit stellt aber auch Gesundheitssysteme vor grosse Herausforderungen, da die Behandlung oft langwierig ist. In vielen Fällen sind chirurgische Eingriffe notwendig, um infiziertes Gewebe zu entfernen. Manchmal bleibt Ärztinnen und Ärzten nichts anderes übrig, als Teile des betroffenen Fusses zu amputieren.
Eine grosse Mehrheit der Patientinnen und Patienten erhält dabei bereits vor einer Operation Antibiotika – obwohl wissenschaftlich bisher nicht belegt ist, dass dieser präoperative Einsatz tatsächlich einen nachweisbaren Nutzen bringt. Internationale Leitlinien zur Behandlung diabetischer Fussinfektionen raten sogar explizit vom Einsatz präoperativer Antibiotika ab – es sei denn, es liegt eine systemische Infektion wie eine Blutvergiftung vor.
Balgrist-Studie untersucht Nutzen präoperativer Antibiotikaabgabe
Die Technische und Neuro-Orthopädie der Universitätsklinik Balgrist untersucht in Zusammenarbeit mit der Infektiologischen Abteilung aktuell diese medizinische Grauzone. In einer retrospektiven Analyse fanden die Forschenden keine Hinweise darauf, dass eine präoperative Antibiotikabehandlung den Behandlungserfolg verbessert.
Das interdisziplinäre Balgrist-Team analysierte die Daten von 1235 Patientinnen und Patienten mit moderaten bis schweren diabetischen Fussinfektionen. Das zentrale Ergebnis: der präoperative Einsatz von Antibiotika zeigte keinen positiven Einfluss auf den postoperativen Verlauf. Die Datenauswertung zeigt, dass eine Antibiotikatherapie vor der Operation – unabhängig von Art, Dauer oder Verabreichung – weder die Heilungschancen bei diabetischen Fussinfektionen verbessert noch Komplikationen nach der Operation verhindert hat.
Was ist eine diabetische Fussinfektion?
Um diese Erkenntnisse besser einordnen zu können, lohnt sich zunächst ein Blick auf die Krankheit selbst und die gängigen Behandlungsansätze.
Diabetes ist eine chronische Stoffwechselerkrankung, bei der der Blutzuckerspiegel dauerhaft aus dem Gleichgewicht geraten kann. Ein dauerhaft erhöhter Blutzucker schädigt auf lange Sicht Nerven und Blutgefässe, was insbesondere an den Füssen spürbare Folgen haben kann.
Viele Betroffene spüren Verletzungen an den Füssen oftmals nicht rechtzeitig, weil ihr Schmerzempfinden gestört ist. Kleine Wunden wie Blasen oder Druckstellen bleiben dadurch oft unbemerkt. Gleichzeitig ist die Durchblutung häufig eingeschränkt und das Immunsystem geschwächt, beides Faktoren, die die Wundheilung zusätzlich erschweren. Aus scheinbar harmlosen Hautläsionen können sich Geschwüre oder sogar tiefergehende Knochenentzündungen entwickeln. Das Risiko für eine bakterielle Infektionen steigt.
Wie werden diabetische Fussinfektionen behandelt?
Die Therapie richtet sich nach dem Schweregrad der Infektion und beinhaltet oft eine Antibiotikatherapie:
- Leichte Fälle lassen sich meist mit sorgfältiger Wundpflege und Antibiotikatherapie behandeln.
- Mässige Infektionen erfordern eine gezielte Diagnostik. Gewebeproben helfen, die Therapie individuell anzupassen. Häufig erfolgt im chirurgischen Rahmen eine Wundreinigung – kombiniert mit Antibiotika.
- Schwere Fälle sind medizinische Notfälle: Die Gefahr einer Blutvergiftung steigt massiv. Oft bleibt nur eine chirurgische Wundsanierung, wobei das beschädigte Gewebe aufgegeben und entfernt wird – nicht selten bis hin zur Amputation. Ohne rechtzeitige und fachgerechte Behandlung kann die Infektion lebensbedrohlich werden.
Die Rolle von Antibiotika – und ihre Tücken
Obwohl internationale Leitlinien den präoperativen Einsatz von Antibiotika nur bei systemischer Infektion empfehlen, erhalten viele Patientinnen und Patienten von den ersten medizinischen Anlaufstellen dennoch schon vor einem Eingriff entsprechende Medikamente. Ziel ist es meist, die Bakterienlast zu senken und umliegendes Gewebe zu schützen.
Diese Praxis ist jedoch nicht evidenzbasiert – und kann sogar Nachteile mit sich bringen:
- Vor allem bei diabetischen Patientinnen und Patienten kann es zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen.
- Antibiotika vor dem Eingriff können die Qualität der intraoperativen Gewebeproben beeinträchtigen – was die exakte Bestimmung der verursachenden Erreger erschwert.
- Der unnötige Einsatz fördert zudem die Bildung von Resistenzen, was die Behandlung zukünftiger Infektionen erschwert.
Angesichts dieser Risiken stellt sich die Frage: Wie sinnvoll ist der routinemässige Einsatz von Antibiotika vor einer Operation, wenn keine Blutvergiftung vorliegt?
Fazit
Die Erkenntnisse der Balgrist-Studie zeigen, dass der präoperative Einsatz von Antibiotika den Behandlungsverlauf nach einer Operation nicht positiv beeinflussen.
Antibiotika spielen dennoch eine zentrale Rolle in der Behandlung diabetischer Fussinfektionen – ihr Einsatz sollte jedoch immer sorgfältig abgewogen werden und auf gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Eine präzise Diagnose sowie die enge Zusammenarbeit mit Spezialistinnen und Spezialisten sind entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung.
Die Universitätsklinik Balgrist steht zuweisenden Fachpersonen gerne als kompetente Ansprechpartnerin zur Verfügung – bei Fragen zur Abklärung, Behandlung oder für eine Zweitmeinung und eine allfällige Überweisung.