Beitrag von Susanne Bandi, Unternehmenskommunikation
Was macht für Sie die Faszination des Kletterns aus?
Für mich ist es der abwechslungsreichste, vielseitigste und kompletteste Sport, vom Bouldern in der Halle bis zu langen alpinen Touren. Der Fokus liegt im Jetzt, dem nächsten Griff und Tritt, alles andere wird unwichtig, wobei das wohl auch für andere Sportarten gilt. In den Bergen ist Freiheit, sagt der Profikletterer Thomas Huber, und es ist ein Ort, an welchem noch Abenteuer erlebt werden können.
Sind Sie ein guter Kletterer?
Ich würde mal sagen oberes Mittelmass. Die schwierigsten Routen, die ich geklettert bin, waren im Grad 10+/11-. Wenn ich mir die heutige Weltspitze anschaue, spielen diese nicht nur in einer anderen Liga, sie kommen von einem anderen Planeten.
Für Laien sieht Klettern nach einem unglaublichen Krampf aus. Ist Klettern gesund? Und wie gross ist das Unfallrisiko?
Es ist wohl bei jeder Sportart so, dass es anstrengend ist und auch danach aussieht, wenn man sich am Limit bewegt. Aber oft ist es ja gerade das, was einem Freude bereitet. Das Spektrum und die Vielfalt beim Klettern sind enorm gross. Es reicht von Genussrouten in Kletterhallen, spielerischem Bouldern und «Plaisirklettern» draussen am Fels bis zu leistungsorientiertem Wettkampfklettern, Sportklettern im stark überhängenden Gelände und ernsthaften Klettereien im Hochgebirge.
«Die Weltspitze spielt nicht nur in einer anderen Liga, sie kommen von einem anderen Planeten.»
Klettern ist ein gesunder Sport, bei welchem praktisch der ganze Bewegungsapparat beansprucht wird. Es braucht Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit, Gleichgewicht, Koordination, Technik und Taktik. Klettern am Seil ist aber potenziell gefährlich, da man herunterstürzen kann. Die Sicherungskette mit Seil, Fixpunkten und Sicherungsgeräten ist aber inzwischen sehr gut ausgereift und technisches Versagen kommt kaum mehr vor. Die zum Glück sehr seltenen Absturzunfälle sind fast immer auf menschliches Versagen zurückzuführen. Für das Bouldern (Klettern auf Absprunghöhe) gilt dies natürlich nicht.
Was sind die häufigsten Verletzungen beim Klettern? Das Risiko für die Hände und Finger ist vermutlich gross.
Das Risiko, sich beim Klettern zu verletzen, ist mit 0.1–4.2 Unfällen/1000h Sport relativ klein, im Vergleich z. B. zum Fussball (31 Unfälle/1000h) oder Handball (50 Unfälle/1000h). Es kommt aber stark darauf an, ob man an seiner Leistungsgrenze klettert oder in der «Komfortzone» bleibt. Bei Letzterem ist das Verletzungsrisiko insbesondere beim Hallenklettern sehr gering. Die häufigsten Verletzungen beim Klettern sind der Riss oder die Entzündung eines Ringbandes (es hält die Beugesehnen der Finger am Knochen). Viel seltener sind Gelenküberbelastungen und Arthrose bei langjährigem leistungsorientiertem Klettern oder die Ermüdungsfraktur an der Wachstumsfuge am Fingermittelglied bei jugendlichen Wettkampfkletterinnen und -kletterern. Diese Verletzungsmuster gibt es fast nur beim Klettern und sie sind daher wenig bekannt. Die Prognose ist sehr gut, eine Operation nur selten notwendig (z. B. wenn mehrere Ringbänder an einem Finger gleichzeitig gerissen sind). Es können aber auch Verletzungen an der Schulter (Rotatorenmanschette, Impingement) und am Knie (Meniskus/Kreuzbandverletzungen) auftreten, ähnlich wie bei anderen Sportarten.
«Das Verletzungsrisiko beim Klettern ist relativ klein. Es kommt aber sehr darauf an, ob man an seine Leistungsgrenze geht oder in der «Komfortzone» bleibt.»
Wie entstehen Verletzungen? Was sind die Gründe?
Beim leistungsorientierten Klettern und vor allem Bouldern werden die Finger stark belastet, die Besten können einen Klimmzug an einem Finger durchführen. Insbesondere das Halten von sehr kleinen Griffen mit aufgestellten Fingern führt zu den genannten Verletzungen. Ca. ab dem 8. Schwierigkeitsgrad können die Belastungen auf die Gelenke so gross sein, dass Gelenkprobleme auftreten. Bei einer bei uns durchgeführten Untersuchung zeigten Kletterer mit 25 Jahren Trainingserfahrung mehr Fingergelenksarthrose im Röntgen als gleichaltrige Nichtkletterer. Das durchschnittliche Niveau dieser Gruppe war allerdings hoch (10. Schwierigkeitsgrad). Auch waren die Beschwerden an den Gelenken sehr gering und niemand hat deswegen den Sport aufgeben müssen. Beim Genussklettern bis zum 6./7. Schwierigkeitsgrad (Skala bis 12) bleiben die Belastungen für die Gelenke und das Risiko für Verletzungen relativ klein.
Was können Kletterinnen und Kletterer tun, damit ihre Hände gesund, kräftig und beweglich bleiben?
Gutes Aufwärmen an einfachen Routen mit langsam zunehmender Schwierigkeit ist sehr wichtig, das dauert ca. 100-120 Kletterzüge (4-5 Routen, 10-15 Boulder). Ausserdem ausgleichendes unterstützendes Krafttraining, z. B. am Hangboard (halbaufgestellte Position, Ein-Zweifingerlöcher, Antagonistentraining), Stretching und Massage der Fingergelenke nach dem Klettern. Möglichst vielseitige Griffe/Fels/Routen klettern und aufgepasst mit der voll aufgestellten Fingerposition (am physiologischsten ist die halboffene Fingerposition).
Eignet sich Klettern für alle Altersgruppen? Auch für Kinder und Jugendliche oder ältere Menschen?
Ja, klettern kann man in jedem Alter. Bei Kindern ist das Bouldern in der Halle sehr beliebt (Ganzkörpertraining, Koordination, gibt Selbstvertrauen) und Jugendliche lernen die Übernahme von Verantwortung beim Sichern. Voraussetzung beim Seilklettern ist eine gute Schulung der Sicherungstechnik und Überwachung am Anfang. Da gerade beim Klettern in der Halle verschiedene, vor allem auch einfache Schwierigkeitsgrade verfügbar sind, eignet es sich besonders auch für ältere Menschen. Die Bewegungen sind langsam, es gibt kaum Beschleunigung und Schläge auf die grossen Gelenke; es ist ein Ganzkörpertraining und fördert die Koordination.
Was sind aktuelle Themen in der sportmedizinischen Forschung zum Klettern?
Themen sind unter anderem: Belastung auf Gelenke, Bänder und Sehnen in Abhängigkeit verschiedener Fingerpositionen und Greifarten. Veränderung/Anpassung der anatomischen Strukturen der Finger durch intensives Klettertraining. Prophylaxe und Früherkennung von Wachstumsfugenverletzungen bei Jugendlichen.
Welcher Punkt ist Ihnen wichtig – als Handchirurg und als Kletterer?
Als Sportmediziner: Halten Sie Sorge zu Ihrem Körper und Ihren Fingern. Gutes Aufwärmen, Stretching, Kraftausgleichstraining. Trainieren Sie möglichst variabel, belasten Sie die Gelenke möglichst nicht in den Endpositionen (nicht in die Gelenke hängen), gehen Sie ans Limit aber nicht darüber hinaus (nicht «Murxen»), das Training lieber mal etwas früher als später beenden, achten Sie auf adäquate Regenerationszeiten und: Freude kommt vor Ehrgeiz. Als Kletterer: «A la muerte», wie die spanischen Kletterer sagen.