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The promise of Digital Medicine and AI
ForschungInnovation

Patienten-Zwilling sagt erfolgreiche Eingriffe voraus

Der umfassende Blick nach innen zur Beurteilung verletzter Gelenke, Gewebeteile oder Knochen ist die Voraussetzung für eine adäquate orthopädische Therapie. Die dreidimensionale Computertomographie (CT) trägt dazu bei. Daraus errechnet die Universitätsklinik Balgrist nun ein virtuelles Modell (einen sogenannten Patienten-Zwilling), lässt darauf in einer Simulation biomechanische Kräfte einwirken und kann dadurch den Therapieerfolg besser vorbestimmen. Der digitale Patienten-Zwilling dient dazu, Operationen präziser und schonender zu planen.

Von Christian Bernhart

Moderne bildgebende Verfahren haben in orthopädischen Universitätskliniken herkömmliche Röntgenbilder abgelöst. Insbesondere die dreidimensionale Darstellung der Knochen und Gelenke mittels Computertomografie (CT) oder der Muskeln und Sehnen mittels Magnetresonanztomografie (MRT) ermöglicht eine umfassendere Beurteilung des Krankheitsbildes und hilft bei der Planung eines operativen Eingriffs. 

Darauf aufbauend ist die Universitätsklinik Balgrist einen Schritt weiter gegangen. Aus den CT-Daten wird ein Modell der erkrankten Knochen-, respektive Gewebeteile erstellt. An diesem digitalen Patienten-Zwilling kann danach der Eingriff geplant werden, allenfalls inklusive der Einbettung der passenden Prothese. Mittels komplexer Computersimulation ist es zudem gelungen, am Modell darzustellen, welche Belastungen, respektive welche biomechanischen Kräfte während und nach dem Eingriff einwirken und damit den Heilungsprozess womöglich beeinträchtigen.

Einfluss versteifter Wirbel auf die Wirbelsäule

Einen Durchbruch zu dieser umfassenden Beurteilung erarbeitete Sebastiano Caprara am Beispiel der Wirbelsäule. Mit der digitalen Methode der finiten Elemente stellte er die Wirkung von Kräften auf die betreffenden Wirbelkörper dar und rechnete vor, welche Belastungen zum Beispiel versteifte Wirbelkörper auf die ganze Wirbelsäule ausüben. Und mittels künstlicher Intelligenz (KI) in Anwendung neuronaler Netze kann man den Outcome einer Operation in Relation zu anderen klinischen Daten vorhersagen. Die Absicht hinter seiner Doktorarbeit besteht laut Caprara darin: «Unser Bestreben ist letztlich, mit solchen digitalen Zwillingen unnötige Operationen zu verhindern und die chirurgische Behandlung zu optimieren.»

Die Universitätsklinik Balgrist hat darauf die Weiterentwicklung diese Methode in Angriff genommen, wie Caprara ausführt: «Im MedTwins-Agil.IT-Projekt geht es darum, diese digitalen Zwillinge in der Anwendung so zu entwickeln, dass die generierten Modelle in die klinischen Prozesse integriert werden können.» Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist dazu Voraussetzung, denn für die Voraussage der Einwirkungen auf die Modelle sind kniffelige Berechnungen der biomechanischen Kräfte und deren Abbildung im Modell nötig. Zudem hängt die erfolgreiche Weiterentwicklung davon ab, dass die bildreichen Ergebnisse auf einer gemeinsam nutzbaren, digitalen Plattform abrufbar sind.

Zusammenarbeit mit Zürcher Hochschulen

Diese geplante cloud-basierte Plattform zur Integration der digitalen Zwillinge für klinische Anwendungen wird von der Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen (DIZH) mit 300'000 Franken unterstützt. Zur Berechnung biomechanischer Einflüsse auf die digitalen Zwillinge setzt die Universitätsklinik Balgrist auf die bereits etablierte Zusammenarbeit mit dem Labor für Orthopädische Biomechanik der ETH und Universität Zürich unter Professor Jess Snedeker. Für die digitale Bildaufarbeitung der generierten Zwillinge konnte die Gruppe Biomedizinische Simulation unter Professor Sven Hirsch des Instituts für angewandte Simulation der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften gewonnen werden. 

Forschungsplattform

Um diese bildlastigen Gigabyte-Daten den Forschenden im Labor und den Ärztinnen und Ärzten in der klinischen Anwendung auf eine gemeinsame Plattform zusammenzuführen, ist fundiertes Wissen der Medizininformatik gefragt. Für diese digitale Aufbereitung konnte die Communication System Group am Departement of Informatics der Universität Zürich unter Alberto Huertas gewonnen werden. Ein grosses Augenmerk liegt dabei auf der Verschlüsselung der Daten sowie der Garantie der Patientensicherheit. Für die Forschung müssen alle Patientendaten anonymisiert werden. Die Datensicherheit soll nach den Richtlinien des EU-finanzierten Projekts AISym4Med gewährleistet werden, einer Plattform, welche die Entwicklung digitaler Lösungen und Dienste für medizinische Anwendungen unterstützt. Ihr gehören 15 Forschungsinstitute und Universitäten – darunter die Universität Zürich – in bisher acht europäischen Ländern an. Damit die Daten für die verschiedenen Akteure der Universitätsklinik Balgrist und der beteiligten Forschungsinstitute schnell abrufbar sind, wird der Austausch über eine externe Rechnereinheit, eine sogenannte Cloud organisiert. «Damit kann man für Forschungsprojekte und KI die benötigte Infrastruktur flexibel und schnell zur Verfügung stellen», sagt Caprara.

Evidenzbasierte Therapie

Schliesslich will das MedTwins-Projekt in seine Plattform zusätzlich die Kenntnisse der evidenzbasierten Therapie, gewonnen aus jahrzehntelanger Erfahrung und Studien, integrieren. Dokumente dieses Wissens sind grösstenteils im Klinikarchiv abrufbar. Doch die Datenbank-Analysen wurden bisher meist von Hand gemacht, wie Reto Sutter, Professor für muskuloskelettale Radiologie, ausführt. Als Beispiel nennt er Studien über Sehnenrisse der Rotatoren-Manschette der Schulter. Hier habe man herausgefunden, dass eine operativ ausgeführte Sehnennaht nur unter bestimmten Umständen erfolgreich ist, unter folgenden Einschränkungen: «Sind die Manschettenmuskeln stark verfettet oder infolge Atrophie klein, dann gibt es eine schlechte Prognose für den Patienten. Es galt den Grenzwert zu errechnen, ab welchem Grad der Verfettung das Risiko für einen schlechten Ausgang der Operation besteht.» Dazu wurden die Daten behandelter Patienten mit den Daten aktueller Patienten verglichen. Über die Datenbank wurden die Analysen von Muskelvolumen und Muskelfett bisher von Hand erstellt. «Jetzt», freut sich Sutter, «haben wir Algorithmen, die es uns erlauben, diese Arbeit mit künstlicher Intelligenz zu automatisieren.»
Die praktische Anwendung des MedTwins-Projekts ist in der Anfangsphase. «Aus der Computersimulation extrahieren wir die Erkenntnis für spezielle Anwendungen und besprechen mit den Ärzten diese Daten aufgrund ihrer Relevanz», führt Caprara aus, und zum Zusammenspiel von Klinik und Forschung erklärt er: «Um die digitalen Patienten-Zwillinge zu validieren und zu testen, erstreben wir eine nachhaltige Integration der Forschung in die klinischen Prozesse.» Der im Projekt eingebundene Radiologe Sutter meint zum Stand des Projekts: «Es ist ein Work in Progress, in dem wir nach neuen Erkenntnissen suchen, um vermehrt voraussagen zu können, wer von einer Operation profitiert. Heute ist das im Vorfeld gar nicht so einfach festzustellen. Wir sind der Überzeugung, und erste Daten bestätigen es auch, dass wir durch diese Simulation der Kräfte auf die digitalen Zwillinge über eine bessere Entscheidungsgrundlage verfügen.»

Mehr zum Projekt: Connecting Orthopedic Medicine and Data-Driven Research