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Andreas Cabalzar
Erfahrungsberichte

Heimisch werden in meiner neuen Lebenssituation

Ich war stets eher im Schnellzug unterwegs als in einem Bummler. Ein Skiunfall im Dezember 2018 hat mich voll gebremst. Schnell war gestern. In den dreieinhalb Jahren seit dem Unfall habe ich viel über meinen Körper gelernt. Neu diktiert er mein Leben und nicht mehr mein Geist, mein Wille.

Teil 1/2: Das Diktat des Körpers

Seit meinem Skiunfall bin ich Paraplegiker und Rollstuhlfahrer. Ich verbringe mein Leben im Sitzen und Liegen. Der Transformationsprozess von einem Leben im Stehen zu einem Leben im Sitzen dauert immer noch an. Genauso wie der Prozess der Akzeptanz. Hier hat mir Behandlung in der Psychiatrischen Universitätsklinik (PUK) sehr geholfen. Ich hatte Flashbacks in Situationen der Begrenztheit. Der Unfall holte mich ein und suchte mich heim. Ich bin froh um die Betreuung und Begleitung durch Dr. Judith Rohde und Prof. Dr. Paul Hoff. Sie leisten hervorragende Arbeit und haben mir sehr geholfen, die psychischen Folgen des Unfalls zu verstehen und zu bewältigen.

Es ist wichtig, dass die Psyche nicht vergessen geht. Der Körper mit seinen Limitationen beherrscht den Alltag. Er verlangt viel Aufmerksamkeit und er zeigt mir gnadenlos Grenzen auf, indem er beim Überschreiten von Grenzen mit Schmerzen, Spastiken und Dysfunktionen im Magen-Darmtrakt reagiert. Deshalb versuche ich, auf die Signale zu hören, die mir mein Leib sendet, und mein Leben entsprechend zu gestalten.

«Die Spastik ist mein Freund. Dank ihr ist die Muskulatur in den Beinen stärker und die Durchblutung besser.»

Wenn mich ein Infekt plagt oder mir zu kalt ist, wenn ich psychisch unter Druck bin, tanzen meine Beine ungewollt. Es sind Spastiken (Verkrampfungen), die mich in Beschlag nehmen. Sie sind gewöhnungsbedürftig und unangenehm. Aber: Dank der Spastik ist die Muskulatur in den Beinen stärker und die Durchblutung besser. Von daher ist sie mein Freund. Die Spastiken geben mir auch Hinweise, wenn ich nicht ganz im Lot bin. Ich akzeptiere sie als Boten, die mich auf Belastendes auf der körperlichen oder seelischen Ebene hinweisen.

Achtsamkeit, Ruhe und spirituelle Intensität sind generell wichtiger geworden. Das aktive Berufsleben mit seinem eher hektischen Rhythmus und die prall gefüllte Freizeit haben einem Leben mit einem deutlich verlangsamten Tempo Platz machen müssen. Vom Typ her habe ich von der Extraversion in die Introversion wechseln müssen. Wenn ich es schaffe, liebevoll auf die neue Realität zu blicken, dann kann ich auch sagen, «das ist gut so». Das ist nicht immer, aber immer öfter der Fall.

«Die Physio ist matchentscheidend für mein Wohlbefinden. Debbie Rohrer ist Physiotherapeutin und Seelentante.»

Bei der Alltagsbewältigung ist der Balgrist top. Die medizinische Unterstützung und Begleitung im Alltag, die hohe medizinische und menschliche Kompetenz habe ich in der Zeit nach der Erst-Reha in Nottwil und in den drei Jahren seither sehr schätzen gelernt. Ich habe vollstes Vertrauen in die Ärztinnen/Ärzte und die Physio. Das war nach der ersten Operation wichtig, als mir ein «Käfer», eine Infektion, ziemlich Schwierigkeiten gemacht hat. Es hat sich auch kürzlich ausbezahlt, wegen eines erneuten Infekts musste ich zehn Tage stationär in den Balgrist. Infektionen sind leider eine häufige Komplikation für uns Paraplegiker/innen. Was die Blase angeht, habe ich vergleichsweise Glück gehabt bis jetzt. Ich habe über ein Jahr lang keinen Blaseninfekt mehr gehabt.

Ganz wichtig für mich sind das Krafttraining und die Physiotherapie. Das Training ist Voraussetzung für meine Autonomie. Nur wenn ich die verschiedenen Transfertechniken beherrsche, kann ich meinen Alltag autonom gestalten. Die zwei Physio-Termine pro Woche sind matchentscheidend für mein Wohlbefinden. Die Therapeutin Debbie Rohrer kennt mich, und manchmal ist sie auch eine gute Seelsorgerin. Sie hantiert nicht nur mit der Maschine, die meine Beine bewegt, sondern auch mit Empathie, die meine Gefühle ernst nimmt.

«Im Balgrist werde ich auf meinem Weg medizinisch und therapeutisch hervorragend begleitet.»

Zuhause stehe ich täglich eine Stunde im Stehtisch. Ein Motor zieht mich mit Gurten aus dem Rollstuhl in die Vertikale. Aufrecht Stehen ist Balsam für Körper und Seele und eröffnet mir eine alternative Perspektive zur Rollstuhlsicht. 

Wie Andreas Cabalzar seinen Abschied nach 30 Jahren Pfarramt erlebt hat und was seine Ziele sind für die Frühpension, das erzählt er im zweiten Teil des Blog

Teil 2/2: Heimisch werden in meiner neuen Lebenssituation

Dreieinhalb Jahre nach meinem Skiunfall stehe ich vor einem Neuanfang: 30 Jahre lang war ich Pfarrer in Erlenbach, nun gehe in Frühpension und mache mich zusammen mit meiner Partnerin als Freischaffender selbständig. Ein Blog über Wünsche und Ziele.

Menschen, deren Leben nach einem Unfall auf den Kopf gestellt ist und die sich darin zurechtfinden müssen, erleben viel Unterstützung – medizinisch und menschlich. Für die Angehörigen gilt das leider nicht oder zumindest nicht in gleichem Masse. Hier besteht Potential. Für meine Partnerin Sabine Suter hat sich das Leben ähnlich drastisch verändert wie für mich und auch für meine drei Töchter. Wie ist hier der Prozess der Akzeptanz zu schaffen? Das ist eine Frage, die mich stark beschäftigt, und ich würde mir wünschen, dass sich auch die Fachwelt stärker damit auseinandersetzt. Meine Partnerin ist sehr gut im Recherchieren. Wenn es darum geht, herauszufinden, welches Hilfsmittel Beste für mich ist, dann findet sie es bestimmt heraus. Was ihre Person angeht, ihre Gefühle, Ängste und Sorgen, habe ich aber den Eindruck, dass sie zu stark auf sich alleine gestellt ist und zu wenig Unterstützung erhält. Für die Angehörigen müsste es mehr Angebote geben, das Umfeld wird zu wenig einbezogen. Bei den Direktbetroffenen gibt es den Airbag-Effekt: Der Schock setzt auf der psychischen Ebene eine Gegenreaktion in Gang, bei der alle vorhandenen Ressourcen mobilisiert werden, die das Überleben sichern und bei der Bewältigung helfen. Dieser Airbag fehlt den Angehörigen.

«Ich schaue nicht in den Rückspiegel. Mich interessiert, was vor mir liegt.»

Mit meinem Schicksal zu hadern, liegt nicht in meiner DNA. Die Frage, wie Gott so etwas zulassen kann, stelle ich mir nicht. Auch nicht als Theologe. Wobei es sie natürlich gibt, die Momente der Traurigkeit und der Wut. Mit den Folgen des Unfalls immer positiv umzugehen, das wäre übermenschlich. Das für mich Einschneidenste ist das Tempo, das völlig anders ist, der Unfall hat mein Leben verlangsamt. Ich musste lernen, dem Rhythmus zu folgen, den mein Körper diktiert, und nicht dem Rhythmus meiner Aufgaben und Wünsche. Das ist mit ein Grund, weshalb ich mich früh pensionieren lasse. Der Abschied vom Pfarramt war nicht jetzt im Juni, als ich meinen Abschiedsgottesdienst feiern durfte, sondern direkt nach dem Unfall. Ich konnte meinen Beruf nicht mehr «ganz» leben, wie ich es gewohnt war. Ich hatte einen sehr schönen, kreativen und intensiven Beruf. Ich durfte Menschen in existenziellen Situationen begleiten, Lebensübergänge gestalten. Aufgrund meines Unfalls ist mir diese Aufgabe leichter gefallen: Ich war selber von einem existenziellen Ereignis betroffen, ich war und wirkte authentischer. Gleichzeitig reichten die körperlichen Ressourcen nicht mehr für das ganze Spektrum der Aufgaben, für den administrativen und den kreativen Teil.

«Als Pfarrer gehe ich in Frühpension. Als Freischaffender mache ich mich auf, Neues zu entdecken.»

Der Abschiedsgottesdienst war ein sehr schönes Fest. Ich habe meiner Gemeinde immer viel zugemutet, bin neue und ungewohnte Wege gegangen. Im Arbeitsumfeld hatte ich den Ruf als «unführbar, unmöglich und unglaublich». Insofern hat mein letzter Gottesdienst gut gepasst. Er war expressiv, mit guter Jazz-Musik umrahmt und ein sehr stimmiger Schlusspunkt nach 30 Jahren im Erlenbacher Pfarramt.

Nun befinde ich mich selbst in einem Lebensübergang. Ich lote aus, was mein Körper noch zulässt, und respektiere die neuen Grenzen, wobei ich den Blick primär auf meine Ressourcen richte. Ich schaue, was möglich ist, und weniger, was nicht mehr geht. Ich möchte in meiner neuen Lebenssituation heimischer werden; das Leben, das sich immer noch häufig als Ausnahmezustand anfühlt, soll zum Alltag werden. Auch in meinem neuen Leben verfolge ich Projekte. Im bündnerischen Vrin entwickle ich zusammen mit meinem Freund Gion Caminada die Dimora – ein «klösterliches» Projekt in meiner Heimat. Ein weiteres Ziel habe ich zusammen mit meiner Partnerin gerade in Angriff genommen: Wir haben ein Haus in Gockhausen gekauft und möchten das Kulturhaus am Meisenrain aufbauen. Es soll Ausstellungen, Konzerte, Literaturtage und gesellschaftliche Foren geben, und ich werde meinen eigenen Schreib- und Malprojekten nachgehen. Ich werde künftig als Freischaffender tätig sein, wobei wir soviel machen werden, wie wir wollen und können. Ich bin gespannt.

Der Text für diesen Blog basiert auf einem Gespräch mit Andreas Cabalzar, geführt im Juni 2022, und einem Interview im Rahmen der Sendung gesundheitheute (Oktober 2020).